Wer vom Haupteingang des Karlsruher Hauptfriedhofes durch den Campo Santo geht und dem Hinweis-Schild „Kleine Kapelle“ folgt, kommt nach etwa 5 Min. zum Ehrenfeld B2. Dort erinnert das große „Tor der Schmerzen“, eine Skulptur von Carl Egler, an die Karlsruher Psychiatrie-Patienten und Behinderten, die während der Naziherrschaft ermordet wurden. In Deutschland wurden zwischen 1939 und 1945 230 000 Menschen ermordet, weil sie als „Ballastexistenzen“ definiert wurden.
Wie kam das Ehrenfeld zustande?
Am 7. April 1964 berichtete die Badische Volkszeitung: “durch einen Offenlagebeschluß erteilte der Gemeinderat dieser Tage dem Karlsruher Bildhauer Carl Egler den Auftrag zur Ausführung eines Mahnmals für das Ehrenfeld der „Euthanasie“-Opfer auf dem Hauptfriedhof, nachdem sich eine Wettbewerbskommission hierfür ausgesprochen hat“. 1965 war schließlich klar, dass nach dem „Gräbergesetz“ („Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“) auch die Urnen der „Euthanasie“-Opfer ein „ewiges Ruherecht“ auf ihrem Heimatfriedhof haben, und wie die andern Opfergruppen aus öffentlichen Mitteln gepflegt werden. Entsprechend einer „Kriegsgräberliste 1963“ wurden die Angehörigen informiert und die Urnen der Toten auf dem Ehrenfeld zusammengeführt. Einige Angehörige wollten die Urnen auf ihren Familiengräbern behalten, viele Urnen wurden gar nicht angefordert, weil es für die Hinterbliebenen nicht einfach war, „ihre“ Urne rechtzeitig anzufordern.- Auf der großen Tafel des Ehrenfeldes B2 ist unten die Zahl von 289 Ermordeten angegeben, die inzwischen überholt ist. Auf dem Feld liegen weit weniger Urnen, als es Karlsruher Opfer gab. Wir haben in unserem Buch 372 Karlsruher Opfer mit Namen benannt. Sie stammen aus der Zeit der zentral aus Berlin organisierten T4 Aktion, die im August 1941 endete. Inzwischen wissen wir, daß in der „dezentralen Phase“, also 1941 -1945, zusätzlich etwa ebenso viele Menschen umgebracht wurden, allerdings dann nicht durch Gas, sondern durch Überdosierung von Medikamenten, grobe Vernachlässigung bei körperlichen Krankheiten und Verhungern-lassen sowie tödlich verlaufende Experimente. Die Namen der Karlsruher Bürger aus dieser 2. „Dezentralen Phase“ sind bisher nur teilweise bekannt.
Was ist mit den Karlsruher Opfern geschehen?
Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) hat seit 2012 die Karlsruher Opfer gesucht. 2020 wurden 372 Karlsruher mit ihrem Namen veröffentlicht im Buch: „Gegen die Macht des Vergessens“. Dabei zeigt sich beim Vergleich der sogenannten Kriegsgräberliste 1963 mit den Dokumenten aus Grafeneck und Hadamar, dass Todesart, Todesdatum und Todesort häufig gefälscht waren. Dieser Betrug mit fernabgelegenen Todesorten wie zB. Hartheim bei Linz und Brandenburg, sollte die Familien davon abgehalten, nach ihren Angehörigen zu suchen. Und vor allem sollten diese Täuschungsmanöver verhindern, dass Misstrauen aufkam über die vielen unerwarteten Todesfälle in den Heil-und Pflegeanstalten.
Was ist uns heute wichtig und warum?
Inzwischen wurden 4 Gedenkveranstaltungen auf dem Ehrenfeld von der DGSP- Gruppe mit Unterstützung der Stadt Karlsruhe durchgeführt. Das März-Datum des Gedenkens erinnert an den 1. Transport Karlsruher Patienten am 29.2.1940 aus Wiesloch. Auch die Stolpersteine für Karlsruher Euthanasie-Opfer erinnern an die Verbrechen. Ein Stolperstein vor der Humboldstraße 28 erinnert heute an Sofie Hahn, eine Büroangestellte der Stadt Karlsruhe, die als seelisch Kranke 1935 zwangssterilisiert und 1940 in Grafeneck vergast wurde. Auch die Urne von Sofie Hahn ist namenlos unter dem Rasen des Ehrenfeldes auf Platz 121 bestattet. Die Urne kam angeblich aus Hartheim. Sofie Hahn war nie in Hartheim gewesen. Die Familie wurde über Todesursache, Todesort und Todesdatum belogen.
Die Familien der Toten erfuhren erst langsam und viel später von diesem Betrug. Außerdem wurden sie im Bundesentschädigungsgesetz von 1956 nicht wie die andern NS-Opfer entschädigt .Und: Die Täter der Nationalsozialistischen Verbrechen kamen teilweise wieder in leitende Positionen in der Psychiatrie. Das alles hat sich eingegraben in die Erinnerung der Familien und wirkt auch heute noch nach. Und wegen dieser Täuschungen, Missachtungen und Entwertungen wurde in den Familien lange über die Toten geschwiegen.
Die Veranstaltung am 6.3. 21 hat gezeigt, dass viele, auch junge Menschen und unser Oberbürgermeister deutlich „Nie wieder“ sagen zu den ungeheuerlichen Verbrechen von damals. Die Stigmatisierung und Entwertung von seelisch Kranken, Behinderten und Menschen mit ungewöhnlichem, andersartigem Verhalten wollen wir im Alltag vermindern. Auf dem Ehrenfeld B2, so hoffen wir erstens, können Betroffene sich an einem Ort der Stille erinnern und vielleicht auch andere Angehörige treffen. Dazu wurden 5 neue Bänke aufgestellt, zusammen mit dem Friedhofsamt. Zweitens finden Treffen mit Angehörigen, Hinterbliebenen und Interessierten statt, um das Gedenken wach zu halten an die Toten und weitere Pläne für die Gestaltung des Ehrenfeldes zu entwickeln. Die Veröffentlichung und Würdigung der von uns veröffentlichten Namen der Toten auf dem Ehrenfeld B2 könnte ein nächster dritter Schritt sein.
Wir freuen uns über Besucher am Ehrenfeld B2! Besonders aus der Oststadt!
Die aktuellen Daten der Angehörigen/Hinterbliebenen-treffen können erfragt werden bei <maria.rave@t-online.de<
Dr. Maria Rave-Schwank.
Das Buch „Gegen die Macht des Vergessens-Gedenkbuch für die Karlsruher Euthanasie-Opfer der Aktion T4-Hrg Maria Rave- Schwank, DGSP-Gruppe Karlsruhe, Stadtarchiv Karlsruhe“,148 Seiten, €10, im Buchhandel.